Pflegen am Limit: Einblick in den Alltag auf der Intensivstation am Eupener St.Nikolaus-Hospital (Grenz-Echo 12.05.22)
Zwei Jahre Corona-Pandemie haben dem Team der Intensivstation am Eupener St.Nikolaus-Hospital eine Menge abverlangt. Extraschichten, zwölf Stunden am Stück: „Wir haben sehr viel geleistet. Die Arbeitsbelastung war immens“, erinnert sich Kathleen Breuer zurück. Die Zahl der Intensivbetten war auf acht, zeitweise neun, erhöht worden. Verstärkung kam aus anderen Abteilungen.
„Momentan ist es relativ ruhig“, sagt die 27-Jährige. Der (vorerst) letzte Corona-Patient ist vor einer Woche entlassen worden. Fünf der insgesamt sechs Betten sind derzeit belegt: Eine ältere Dame verbringt die Nacht nach einer risikoreichen Operation vorsichtshalber auf der Intensivstation, ehe sie auf Normalstation verlegt wird. Sie sei schläfrig, doch ihr Zustand stabil, sagt Kathleen Breuer. Im Zimmer nebenan wurde eine Patientin derweil nach einer Medikamentenüberdosis ins künstliche Koma versetzt. Sie ist an Maschinen und Schläuche angeschlossen, die monoton piepen. Rund um die Uhr werden ihre Vitalwerte überwacht. „Bei jeder kleinsten Veränderung, die lebensbedrohlich, oder ein Anzeichen für Komplikationen sein könnte, schlägt unser System Alarm. Wir müssen dann sehr schnell handeln“, weiß Kathleen Breuer, worauf es in ihrem Job ankommt.
Umso bedauerlicher sei es, dass der Pflegeberuf nach wie vor häufig belächelt oder unterschätzt werde: „Es gehört schon mehr dazu, als die Patienten morgens zu waschen, wie viele glauben“, sagt Kathleen Breuer. Besonders auf der Intensivstation sind hohe Qualifikationen erforderlich. In Zusatzausbildungen lernt das Intensiv-Pflegepersonal, in stressigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Beatmungs- und Medikamentenmanagement, künstliche Ernährung und Dialyse fallen ebenso in den Aufgabenbereich der Pfleger. „Auch die medizinischen Gerätschaften müssen bedient werden. Man vertraut uns die Patienten an, ihr Leben liegt in unserer Hand. Wir tragen eine große Verantwortung“, ist sie sich bewusst.
Kathleen Breuer ist seit Februar Leiterin der Intensivstation am St.Nikolaus-Hospital. Parallel zum Job absolviert die Eupenerin ihren Master in Pflegemanagement an der Katholischen Hochschule in Köln. Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit befasst sie sich mit dem Thema Besuchszeiten. Während der Corona-Pandemie waren diese in Eupen stark eingeschränkt, zwischenzeitlich (es sei denn, ein Patient lag im Sterben) sogar ganz ausgesetzt worden. Dabei gebe es Studien, die belegen, dass „Besuche am Krankenbett positive Auswirkungen auf den Patienten haben und sogar helfen können, ihn im Leben zu halten“, so Breuer. „Gerade in der Aufwachphase nach einer längeren Zeit im Koma wissen Patienten oft nicht, wo sie sind, oder was passiert ist. Angehörige können in dem Moment ein wichtiger Bezugspunkt und Anker sein“, pflichtet Stationsarzt Dr. Marco Miribung seiner Kollegin bei.
Gleichzeitig seien Besuche nur schwer in den eng getakteten Stationsalltag zu integrieren. „Es muss ein Mittelweg gefunden werden, mit dem alle Beteiligten gut leben können“, appelliert die junge Dienstleiterin. Eine 24-Stunden-Besuchsfreiheit sei zwar kaum umsetzbar – was Kathleen Breuer vorschwebt, ist ein Modell, dass es den Angehörigen erlauben würde, Besuchszeiten individuell und außerhalb festgelegter Zeitfenster zu gestalten. „Gleichzeitig würde man gewisse Zeiten ausschließen, etwa zum Schichtwechsel“, so Breuer.
Auf der Intensivstation am Eupener Krankenhaus ist ein Team aus drei Ärzten (insgesamt elf Internisten und Anästhesisten in Bereitschaftsdiensten), 16 Pflegern, einer Pflegehelferin sowie ein multidisziplinäres Team aus Kinesio- und Ergotherapeuten, Diätassistenten, Psychologen, Sozialassistenten, Logopäden, und Palliativpflegern rund um die Uhr in drei Schichten im Einsatz, wobei sich ein Pfleger um das Wohl von drei Patienten kümmert. „Das ist das gesetzliche Minimum“, ergänzt Dr. Marco Miribung. Ist das vertretbar? „Das kann man so pauschal nicht sagen“, erklärt Kathleen Breuer: „Das hängt sehr davon ab, wie stabil die Patienten sind. Sind es drei Patienten, die nach einer Operation beobachtet werden, ist dieser Betreuungsschlüssel durchaus vertretbar. Bei drei Patienten, die beatmet werden müssen, bewegt man sich schon sehr am Limit“, gibt sie zu bedenken. Hinzu kommt, dass das Intensivpflege-Team in Notfällen auf Abruf auch anderen Stationen zur Verfügung steht.
Patienten verbrachten 2021 im Schnitt fünf Tage auf der Intensivstation
Letztlich sei der Pflegeschlüssel eine Frage des Geldes. „Wir sind eine kleine Station und nicht durchgehend voll belegt, da kann man nicht rund um die Uhr drei Pfleger abstellen“, ist sich Miribung durchaus bewusst.
355 Patienten wurden im vergangenen Jahr am Eupener St.Nikolaus-Hospital intensivmedizinisch betreut, etwa nach einem Infarkt, einem Schlaganfall, einem Suizidversuch (Medikamentenmissbrauch) oder mit einer Lungenentzündung. „Es gibt verschieden Kriterien, die eine Aufnahme auf der Intensivstation rechtfertigen, etwa wenn eines oder mehrere Organe zu versagen drohen“, erklärt Intensivmediziner Miribung.
Im Schnitt blieben die Patienten 2021 fünf Tage. „Diese ungewöhnlich lange Verweildauer ist durch die Coronakrise begründet. Während Post-OP-Patienten in der Regel nur eine Nacht zur Beobachtung bleiben, sind es bei Patienten mit einer Corona-Infektion Wochen, gar Monate“, relativiert der Stationsarzt. Kathleen Breuer erinnert sich an einen Patienten, ein Mann Mitte 40, der aufgrund einer Corona-Infektion ganze 80 Tage auf der Intensivstation gelegen hat. Die Ärzte hatten ihn beinahe aufgegeben, dann stabilisierte sich sein Zustand zusehends und er konnte entlassen werden. Nicht alle schaffen es.
Tod und Leben liegen auf der Intensivstation nah beieinander, der Ausnahmezustand ist quasi an der Tagesordnung. Auch emotional ist das eine Herausforderung für das gesamte Team, weiß Kathleen Breuer nur zu gut: „Wir hängen uns sehr rein für die Patienten. Jemanden zu verlieren, den man wochenlang gepflegt hat, um dessen Leben man gekämpft hat, ist sehr bitter.“ Was sie versöhnlich stimmt, ist die Gewissheit, alles Menschenmögliche getan zu haben, ein Leben zu retten – allerdings nicht um jeden Preis: „Die Zeit danach muss auch noch lebenswert sein“, sagt Miribung: „Wenn man alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich keine Besserung einstellt, dann ist ein Punkt erreicht, an dem man sich, auch wenn es schwerfällt, zurückziehen und in eine palliative Begleitung übergehen sollte, um einen würdigen Abschied zu ermöglichen.“