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Länger leben ohne Brust?

 
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Es ist nie klug, in Sachen Gesundheit die Vogel-Strauß-Methode anzuwenden." Dr. Paul Baltus

 

Von Nathalie Wimmer

US-Star Angelina Jolie ist für viele der Inbegriff kurvenreicher Weiblichkeit. Jetzt hat sich die „Sexiest Woman alive“ aus Angst vor Krebs die Brüste amputieren lassen. Das ist aber nicht immer der richtige und keinesfalls der einzige Weg.

Der Schnitt ist radikal. Frauen, die ein sogenanntes Brustkrebsgen (BRCA 1, BRCA oder das jüngst entdeckte RAD51C) in sich tragen, haben ein erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken. Eine Vorsorgemöglichkeit ist, sich die Brust präventiv abnehmen zu lassen. Das tat jetzt die amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie.

In den USA ist diese Methode relativ verbreitet, in Europa ist man eher „zurückhaltend“, wie der Eupener Gynäkologe Paul Baltus erklärt. Er ist Titularchirurg der ostbelgischen Brustklinik in der interdisziplinär zusammengearbeitet wird. In seiner gesamten medizinischen Laufbahn sind ihm bisher nur zwei Fälle der Genmutation untergekommen. In beiden Fällen wurde allerdings nicht für eine Brustamputation optiert. „Es handelt sich um ein sehr seltenes Phänomen, das in der Größenordnung von einem Promille auftritt. Das heißt, nur eine von 1.000 Frauen ist betroffen. Und selbst wenn die genetische Fehldisposition vorzeitig entdeckt wird, ist die vorsorgliche Amputation nicht die einzige Strategie, die angewandt werden kann“, erklärt der Arzt.

Engmaschige Kontrollen sind hierzulande die häufig gewählte Alternative. Diese intensive Früherkennung beinhaltet u. a. klinische Untersuchungen, Mammografien oder Kernspintomografien. „Man sollte wissen, dass selbst wenn die Gene vorhanden sind, nicht automatisch eine Krebserkrankung an Brust- oder Eierstöcken erfolgen muss. Ganz wichtig ist auch: Selbst wenn das Brustgewebe entfernt wird, bleibt ein Restrisiko von fünf Prozent“, erklärt der Eupener. Bei korrekter Behandlung liege die Heilungschance bei Brustkrebs dank des medizinischen Fortschritts mittlerweile bei 85 Prozent. Abraten möchte Paul Baltus von der - im Fachjargon Mastektomie genannten - Vorsorgeentfernung der Brust jedoch nicht. Es gelte, das Für und Wider gut abzuwägen und sich über sämtliche Alternativmethoden gut zu informieren. „Letztendlich ist es eine persönliche Entscheidung, die von Fall zu Fall getroffen werden muss. Es spielen viele Faktoren eine Rolle: Alter, Vorgeschichte, Ängste und vieles mehr“, so sein Fazit. Insgesamt hält Paul Baltus es aber für sinnvoll, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.

Marie-Françoise Fogel, Präsidentin der Selbsthilfegruppe „Vivre comme avant“, steht der Öffentlichkeitsoffensive von Angelina Jolie allerdings skeptisch gegenüber. „Das sollte jetzt kein Beispiel sein, das Schule macht. Natürlich gibt es momentan viel medialen Wirbel, weil die Schauspielerin weltberühmt ist. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass es sich bei der prophylaktischen Amputation wegen dieser Brustkrebsgene um einen ganz besonders seltenen Spezialfall handelt.“ Auch in ihren Augen ist die Information über die eigene Krankheit und Situation das A und O. Ein Gutes hat die Sache ihrer Meinung nach dennoch: Dass mit der US-Schauspielerin nun eine schöne und bekannte Frau offen über ihre intimen Leiden rede und vor allem positiv nach vorne schaue, könne Brustkrebspatienten im Allgemeinen seelisch aufbauen. Genau hier setzt auch die Selbsthilfegruppe an. „Es ist ein ziemlicher Schock, wenn man erfährt, dass man an Brustkrebs erkrankt ist. Vor allem weil häufig keine lange Leidensgeschichte vorangeht. Der Boden wird einem regelrecht unter den Füßen weggezogen. Gestern fühlte man sich noch kerngesund und heute ist man plötzlich sterbenskrank. Die Assoziation von Krebs und Tod drängt sich außerdem fälschlicherweise sofort auf“, berichtet sie aus Erfahrung. Auch die Frage nach der eigenen Weiblichkeit beschäftigt die Patientinnen bei einer Amputation oder Teilresektion häufig. Die Brust zählt zu den sekundären Geschlechtsmerkmalen der Frau. Als erogene Zone spielt sie in der Sexualität eine wichtige Rolle. Es gibt Frauen, die durch Stimulation der Brustwarzen beispielsweise einen Orgasmus erreichen können. Selbst bei den - häufiger als Amputationen angewandten - brusterhaltenden Operationen, kommen bei manchen Frauen Ängste in Bezug auf ihre Ganzheit und Weiblichkeit auf. „Ich selber habe mich nicht weniger als Frau gefühlt. Das wäre nicht die richtige Ausdrucksweise. Aber die Brustkrebsbehandlung ist schon ein verletzender Eingriff in die physische Weiblichkeit. Es braucht lange Zeit, bis eine innere Akzeptanz gegenüber dieser körperlichen 'Verstümmelung' einsetzte“, gesteht Marie-Françoise Fogel.

Nicht zu vergessen sind unabhängig davon die Schuldgefühle, die sich bei vielen Patienten mit Erbkrankheiten oftmals einstellen. Für jeden, der Kinder hat, ist die Zeit des Zitterns nach der eigenen positiven Behandlung noch nicht vorüber, da die Möglichkeit gegeben ist, dass der Krebsauslöser auch an den Nachwuchs weitergegeben wurde - sowohl an Töchter als auch an Söhne. Denn auch bei Männern kann die Genmutation zu einem erhöhten Brust- oder Prostatakrebsrisiko führen.

9.400 neue Fälle von Brustkrebs in Belgien pro Jahr
Ein Problem, das für Angelina Jolie wohl mehr als nebengeordnet sein dürfte, ist die Kostspieligkeit des gesamten Eingriffes - vom Gentest über die Amputation bis zur Wiederherstellung der Brust.

In Belgien liegt die Gebührenrechnung für den Gentest bei 155,06, Euro - wovon das Landesinstitut für Kranken- und Invalidenversicherung (Likiv/Inami) den größten Teil übernimmt (zwischen 155,06 und 146,38 Euro). Laut den Angaben des Likiv haben sich im Jahr 2011 insgesamt 195 Frauen ohne vorliegende Krebserkrankung die Brüste amputieren lassen. Unklar ist, wie viele dieser Fälle auf Geschlechtsumwandlungen zurückzuführen sind, die mit dem Krebsrisiko nichts zu tun haben. Die meisten OPs erfolgten jedoch, weil die Frauen bereits Brustkrebs hatten: 178 im Jahr 2011. Die anschließende Wiederherstellung der Brust kann über Implantate erfolgen. Die Kosten liegen zwischen 400 und 1.000 Euro pro Brust und werden im Fall der prophylaktischen Amputation rückfinanziert.

Länger leben ohne Brust? Auf diese provokative Frage gibt es demnach keine allgemeingültige Antwort. Die vorsorgliche Mastektomie ist nur ein gangbarer Weg, keine Pauschallösung für alle. Sie darf und soll nur ein Einzelfall bleiben.

Mehr Infos rund um das Thema Brustkrebs:

Brustklinik@hospital-eupen.be

Tel.: 087/ 56 08 18